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Aspekte von Krieg und Folter

Begonnen wurde diese Artikelserie aus Anlass des zweiten Irakkriegs der USA, letzte Ergänzungen August 2010

 

The End of (Military-)History?

Dieser Artikel wurde initiert nach einem Artikel in salon.com, geschrieben von Andrew Bacevich, The end of (military) history?. Der Titel bezieht sich auf Francis Fukuyama und sein Buch „Das Ende der Geschichte“ aus dem Jahr 1992. Fukuyama hatte damals behauptet, dass die USA den "kalten Krieg" klar gewonnen haben und totalitäre Systeme, wie z. B. der Kommunismus und der Faschismus, keine politischen Alternativen mehr darstellen. Dies hat sich in der Zwischenzeit deutlich als falsch herausgestellt.

Die These Bacevich (sehr verkürzt) ist, dass alle Länder bis auf 2 irgendwann nach dem 2. Weltkrieg begriffen haben, dass die Möglichkeiten zu einer Kriegsführung nach Clausewitz vorbei sind. Krieg ist nicht mehr "die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", weil Kriege nur dann gewonnen werden können, wenn es einen Gegner geben kann, der seine Niederlage zur Kenntnis nimmt. Deswegen "Ende der (Militär-)Geschichte".

Die beiden Länder die immer noch glauben, durch Kriege die Welt zu ihren Gunsten verändern zu können sind die USA und Israel. Israel hatte seinen letzten Sieg in 1967 im "Sechstagekrieg". Spätere Kriege waren mehr oder weniger große Desaster, z.B. der Libanonkrieg 2006 - Operation Peace for Galilee. Der letzte große militärische Sieg der USA war der Golfkrieg 1991 - Operation Desert Storm. Letztendlich haben beide diese militärischen Siege jedoch keine politische Veränderung gebracht, die Probleme die gelöst werden sollten, bestanden weiter. Und seitdem haben es beide Länder mit Gegnern zu tun, deren Niederschlagung nur sehr schwer möglich ist und die zumeist zu einem Rückzug ihrer Armeen geführt, drastisch vorgeführt in Somalia 1992 - Operation Restore Hope.

In den USA glaubt heute (beginnend bereits in 2007) niemand mehr, dass die Konflikte in Afganistan und im Irak militärisch gewonnen werden können, das Ziel verschob sich auf "nicht-verlieren". Offizielle Zielsetzung ist "protect the people", was aber kaum gelingen kann.

    "For the conflicts in which the United States finds itself enmeshed, "military solutions" do not exist. As Petraeus himself has emphasized, "we can't kill our way out of" the fix we're in. In this way, he also pronounced a eulogy on the Western conception of warfare of the last two centuries." . . . "...the prospect of Big Wars solving Big Problems is probably gone for good."

China scheint seine Macht mit anderen Mitteln auszubauen, z.B. "dollar diplomacy" und den Entwicklungs-Projekten in vielen Ländern Afrikas. In den USA wird weiterhin auf Aufrüstung gesetzt, noch intelligentere Bomben, nach effektivere Waffensysteme, noch mehr Elektronik und Vernetzung, Roboter zur Unterstützung der Soldaten, unbemannte Drohnen, etc.

Und die gleichen Leute die an all diesem Technologien verdienen drängen jetzt (Herbst 2010) auf einen Krieg gegen den Iran. Unterstützt werden sie dabei von Politologen. Hier ein Artikel dazu in salon.com: A campaign for war with Iran begins der den folgenden The Atlantic-Artikel kommentiert: The Point of No Return. Hier eine Kritik das Artikels in der NY Times: Why Not to Bomb Iran un hier eine Kritik des Artikels aus israelischer Sicht: Jeffrey Goldberg’s Iran piece: an Israeli perspective.

 

Hier ein anderer Artikel von Andrew Bacevich zu diesem Thema: Juli 2010 Giving Up On Victory, Not War. Und ein interessanter, etwas bedrückender Artikel aus dem November 2011 zu den Angriffsplänen auf den Iran: America's itch to brawl has a new target – but bombs can't conquer Iran. Der Artikel spekuliert, dass der Wunsch nach einem weiteren Krieg für einige der Republikaner leider unwiderstehlich ist.

 

 

 

You don't have to choose between Torture and Terror: "How to Break a Terrorist"

(Dez. 2008)

In den USA ist nach langem Streit mit den Militärbehörden ein sehr interessantes Buch eines Majors erschienen, der im Irak bei Verhören eingesetzt wurde und dabei sehr erfolgreich war. Er argumentiert sehr überzeugend (mit Hilfe seiner eigenen Erfolge), dass Folter kein geeignetes Mittel ist.

Hier die Links zu einem Artikel von ihm selbst:

I'm Still Tortured by What I Saw in Iraq

und einem Interview mit ihm:

“The American Public has a Right to Know That They Do Not Have to Choose Between Torture and Terror”.

 

 

 

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Taking Stock of the Forever War

(Mark Danner, New York Times, Sept. 2005)

Mark Danner bringt in einem längeren Beitrag in der NY Times eine sehr gute Analyse der Problematik des Global War on Terrors und des Irakkriegs.

Hier die Kernthesen:

  • Das Ziel der Salafi-Bewegung, zu der Al-Kaida zuzurechnen ist, ist die Rückkehr der muslimischen Staaten zum "reinen" Islam, wie er von Prophet Mohammed praktiziert wurde. Dies ist nicht möglich, solange die USA dafür sorgen, dass die Regime in Riadh, Kairo, Amman und Islmabad von den USA gestützt werden
  • Ziel des Terrorismus ist (und war es seit 1946 bei der Befreiung Isreals von den Briten) "die Aura der Supermacht zu zerstören", zu zeigen, dass die Regierung angreifbar ist.

  • Zu diesem Zweck war die Strategie der Al-Kaida, die USA in eine Falle zu locken, indem sie dazu gebracht werden, in einem moslemischen Land einzumarschieren und sich dort in einen langen und blutigen Guerillakrieg zu verstricken. Das war das Ziel des von 9/11. Bin Laden hatte damit gerechnet, dass dies in Afganistan sein würde, aber dort haben die Amerikaner es geschafft einen solchen Krieg zu vermeiden.

  • Präsident Bush hat aber dann durch den Einmarsch in den Irak Bin Laden doch den Gefallen getan und die Rechnung geht auf: Die täglichen Anschläge im Irak führen dazu, dass das Eintritt, was sich vor 5 Jahren nur wenige Leute vorstellen konnten: die amerikanische Armee, die stärkste der Welt, ist bis über die Grenzen ihrer Möglichkeiten engagiert und dabei, den Krieg zu verlieren und damit das Aura der Großmacht selbst abzubauen ohne dass Erfolgsaussichten bestehen.

Die Analyse klingt für mich sehr plausibel und das strategische Geschick von Bin Laden ist bewundernswert. Was für mich absolut unmoralisch ist, ist dass er bereit ist, eine ganze Region ins Chaos zu stürzen, hundertausende Tote zu akzeptieren, um seine Vorstellung von Religion umzusetzen.

 

 

 

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Global War on Terror

In dem Bericht auf den ich mich beziehe analysiert Professor Jeffrey Record vom Air War College in Montgomery, Alabama, den "Global War on Terror, oder auch GWOT, und geht dabei auch auf den Irak-Krieg ein. Bounding the GWOT (englisch, 370 KB).

Er beginnt damit dass er erklärt, dass der Begriff "war on terror" sowie schon mal Blödsinn ist, denn Terror ist eine Strategie, so wie Guerillakrieg oder Flächenbombardement, und ich kann keinen Krieg gegen eine Strategie führen. Dann erkärt er, warum es ein Fehler ist, Terroristen und sog. Rougue States, d.h. Staaten die sich nicht an Regeln halten, in einen Topf zu werfen. Staaten kann man abschrecken, denn sie haben alle vieles, was sie verlieren können (Territorium, Souverenität, Kontrolle über die Bevölkerung). Dies gilt für Terroristen nicht, sie sind nicht abschreckbar. Selbst Nordkorea droht zwar immer wieder, hat aber seit dem Koreakrieg keinen Angriff durchgeführt.

Daraus folgt, dass die Abschreckung sehr wohl funktioniert, auch bei Staaten, denen die Weltmeinung eigentlich ziemlich egal erscheint und dass aus strategischer Sicht der Angriff auf den Irak im Kampf gegen den Terror extrem kontraproduktiv war. Gegen Staaten gibt es effektivere Vorgehensweise. Der Bericht zitiert eine Terrorismus-Expertin Jessica Stern "America [sie meint die USA] has taken a country that was not a terrorist threat and turned it into one".

Die Ziel des GWOT sind definiert als:


1. Zerstören der Angreifer des 9/11, d.h. al-Qaeda al-Qaeda ist ein schwieriger Gegner, und die Situation im Irak hat viele neue Angriffsziele und Unterstützer für sie geschaffen. Trotzdem ist dies noch das realistischste dieser Ziele.
2. Zerstören, bzw. Zerschlagung anderer terroristischen Organisiationen Damit haben die USA sich Organisationen zum Feind auserkoren, die gar nicht gegen die USA haben, weil sie lokale Ziele verfolgen (z.B. E.T.A. oder Sendero Luminoso). Dies mag ein moralisch sauberes Ziel sein, ist jedoch strategisch nicht gerade klug. Eine wichtige Regel des Krieges: Halte die Zahl deiner Feinde überschaubar.
3. Zerstörung der Legitimation von Terrorismus und letztlich Auslöschung des Phänomens (analog zur Abschaffung der Sklaverei) Extrem schwierig. Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer. Terrorismus ist die Waffe der Ohnmächtigen, die glauben, keine anderen Möglichkeiten zu haben.
4. Umwandlung des Iraks in eine Land mit Wohlstand und stabiler Demokratie Mal abgesehen davon, dass die Durchführung ja offensichtlich nicht so recht gelingen will, so gibt es keine direkten Hinweise, dass Wohlstand und Demokratie Terrorismus verhindern. Der Autor führt als Beispiel an, dass z.B. der zweit-tödlichste Terrorangriff die Zerstörung des Federal Buildings in Oklahoma war. Er weist auch auf Bader-Meinhof und ähnliche Gruppen in den 60igern, 70igern und 80igern hin. Viele der Terroristen, damals und heute, sind sehr gut ausgebildet und alles andere als unterprivilegiert.
5. Umwandlung des Nahen Ostens in eine Region mit Demokratie und ökonomischen Möglichkeiten für die Bevölkerung Die Idee, dass ein demokratischer Irak eine Demokratisierung der Nachbarn bewirken würde ist eine neue Domino-Theorie, für deren Funktionieren es keinerlei Hinweise oder Belege gibt. Diese Theorie vernachlässigt so wie die gleichnamige in den 60igern, dass Staaten ganz andere Voraussetzungen haben und Entwicklungen nach wenig Einfluss auf die Nachbarn zu haben scheinen.
Sehr interessante Details zu allen diesen Fragen auf den 56 Seiten des Reports.

 

 

 

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Demokratisierung des Iraks

Ganz generell wirft der Ablauf im Irak die Frage auf, ob dies der Anfang vom Ende der US-Dominanz sein könnte. Die Erfolgsaussichten im Irak sind äußerst dünn. Ein Vergleich mit der Demokratisierung Deutschlands und Japans nach dem 2. Weltkrieg passt erstens schlecht, zeigt zum anderen auch, dass wohl sehr viel mehr Geld und Ressourcen investiert werden müssten, als die USA sich das leisten wollen (oder können). Das US-Militär ist bereits jetzt an der Grenze seiner Belastbarkeit. Herbst 2003 waren 185 000 Truppen, d.h. 1/3 der aktiven Truppenstärke in Irak, zusätzlich 10 000 in Afganistan, 25 000 in Südkorea, 5000 im Balkan. Dabei muss man bedenken, dass alle diese Truppen auch regelmäßig ausgetauscht werden sollten, was derzeit kaum möglich ist. Außerdem sind die Truppen sehr schlecht auf den Job der Wiederherstellung und des Schutzes der Infrastruktur vorbereitet.
Unterschiede zu Deutschland und Japan (All dies findet sich auch in o.g. Bericht):

  • Japan hat sehr sichere Grenzen, es gab keine Infiltration durch Ausländer, die Anschläge durchgeführt haben. Es gab in Japan Null Angriffe auf US-Soldaten oder -Einrichtungen nach der Kapitulation.

  • In Japan hatte der Kaiser ausdrücklich und offiziell die Besatzung verbal und durch gemeinsames Auftreten mit Mc Arthur legitimiert

  • Die Zahl der Truppen in Deutschland und Japan war viel höher als derzeit im Iraq

  • Die gesamte Weltöffentlichkeit sah die Besetzung als legitim an, dies ist derzeit nicht der Fall

  • Zumindest Deutschland hatte eine gewisse demokratische Tradition, auf die zurückgegriffen werden konnte

  • Japan und Deutschland waren relativ homogen, was die Kultur und Gesellschaft betrifft, nicht ein Produkt künstlicher kolonialer Grenzen mit mehr oder weniger verfeindeten Bevölkerungsgruppen (Kurden, Shiiten, Sunniten)

In wieweit die USA auf die Dauer diese Besetzung finanzieren können, bleibt abzuwarten. Derzeit sieht es in dieser Hinsicht nicht sehr gut aus. Ein Rückzug hätte allerdings katastrophale Folgen für die Außenpolitik der USA, das wäre das 2. Vietnam, die 2. große Niederlage.

Es bleibt abzuwarten, was ein neuer amerikanischer Präsident aus dieser Situation machen würde. Die Lage ist ziemlich schwierig für ihn, denn die USA haben sie im Irak in eine sehr dumme Zwickmühle manövriert.

Der Nobelpreisträger für Ökonomie und Exchefökonom der Weltbank, der Amerikaner Joseph Stiglitz schreibt in einem Artikel zum Thema Demokratisierung und Liberalisierung der Wirtschaft des Iraks "Fazit: Der Traum der amerikanischen Invasoren des Irak war die Schaffung eines stabilen, wohlhabenden und demokratischen Nahen Ostens. Amerikas wirtschaftliches Programm für den Wiederaufbau des Irak jedoch legt die Grundladen für Armut und Chaos."

Der Standard schreibt am 18.3. über ein Gespräch mit Ahmed Jiyad vom UNDP (U.N. Development Programme), der sagt, dass die Schulden des Iraks, von Saddam gemacht, aber auch 30 Milliarden neue Reparationsforderungen, so groß sind, dass das Land mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt auf Generationen ein Armenhaus bleiben wird.

Jiyad beziffert die jährlichen Verpflichtungen, die sich für den Irak für die nächsten fünfzig Jahre oder mehr ergeben könnten, zwischen 8,3 Milliarden und 24,6 Milliarden Dollar (zum Vergleich: Das irakische Gesundheitsbudget beträgt 1 Mrd.). Das heißt, der Irak würde nicht mehr auf die Beine kommen - wobei es ja die Theorie gibt, dass ein Irak am ewigen Schuldenband politisch ganz gelegen käme. Der Artikel im Standard.

Ein Buch zum Thema Invasion im Irak ist "The Folly of Empire", hier ein Interview mit dem Autor in salon.com. Der Autor John Judis erklärt, die Bush Administration auf die Reden von Nah-Ost Experten und Exilirakern wie Chalabi gehört hat, die vor dem Krieg erklärt hatten, die amerikanische Armee würde in Bagdad genauso mit Begeisterung empfangen wie 1944 in Paris. Innerhalb von wenigen Monaten würden stabile demokratische Verhältnisse entstehen, ohne die Notwendigkeit eines komplexen "nation building"-Prozesses. Die täglichen Nachrichten widerlegen leider diese Ansichten und beweisen, dass die Gegener der Invasionspläne, z.B. Colin Powell, unter großem Leiden der Bevölkerung.

 

 

 

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Al-Kaida? Nie gehört!

Der Standard berichtet über ein Interview und Buch vom ehemaligen Antiterrorberater des Präsidenten Richard Clarke. Zitat: "Am Tag nach den Terrorattacken auf das World Trade Center und das Pentagon soll US-Präsident George W. Bush seinem damaligen Antiterrorberater Richard Clarke einen unmissverständlichen Auftrag gegeben haben: nämlich den, nach einem Zusammenhang zwischen dem Irak und Osama Bin Ladens Terrororganisation Al-Kaida zu suchen: "Irak! Saddam! Finden Sie heraus, ob es da eine Verbindung gibt." Clarkes machte sich an die Arbeit, ohne allerdings fündig zu werden. Er verfasste einen Bericht, wonach Saddam mit dem 11. September 2001 nichts zu tun habe. Prompt erhielt er seine Arbeit mit dem Vermerk "Falsche Antwort, neu schreiben" zurück."

Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice habe ihm, Clarke, jedoch den Eindruck vermittelt, als habe sie noch nie von Al-Kaida gehört; seinen Warnungen sei sie mit großer Skepsis begegnet. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld habe gleich nach 9/11 vorgeschlagen, den Irak zu bombardieren: "Wir haben alle gesagt, nein, nein, die Al-Kaida ist in Afghanistan", erklärt Clarke, "aber Rumsfeld konterte, in Afghanistan gebe es keine guten Ziele; im Irak gebe es gute Ziele".

 

 

 

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Der Westen bekämpft Terroristen, aber nicht den Terrorismus

Juli 2005

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass das System des Terrorismus inherent stabil und selbsterhaltend ist. Ein Artikel im Standard schreibt: "Terror und die Terrorbekämpfung sind ein sich selbst ernährendes System der Gewalt geworden. Der Westen bekämpft Terroristen, aber nicht den Terrorismus; die Folgen, aber nicht die Ursachen des Extremismus."

Das System ist stabil, die Besetzung des Iraks erzeugt eine beliebige Zahl von best-ausgebildeten, hoch motivierten und praktisch geschulten Kämpfern, die zum Teil auch Pässe der westlichen Welt haben und gegen die sich kein Land der westlichen Welt abschotten kann, egal wieviel Geld in die Flugsicherheit gesteckt wird.

Georg Schöfbänker schreibt ebenfalls im Standard: "Seit Beginn des Irakkrieges 2003 hat sich die Zahl der Terroranschläge weltweit mindestens verdoppelt. Laut Rand Corporation sind allein zwischen März 2004 und März 2005 dem Terror 5362 Menschen zum Opfer gefallen; auch eine Statistik des US-Außenministerium konstatiert eine "starke Zunahme" des globalen Terrorismus. Der "globale Krieg gegen den Terror" der USA ist somit gescheitert. Lokal agierende und global denkende Djihadisten-Gruppen können sich im Westen überall selbstständig entwickeln, wo es ein Umfeld gibt, in dem sie sich bewegen können. Das wird die terroristische Graswurzelbewegung der Zukunft sein. Die täglichen Selbstmordanschläge im Irak zeigen, dass es keine Rekrutierungsprobleme gibt und der globale Djihad somit zum Selbstläufer geworden ist. Madrid und London waren vermutlich erst der Anfang einer Reihe von großen Anschlägen in Europa. Über die vereitelten wissen wir zu wenig."

 

 

 

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Die Folter in Abu Ghraib und ihre Auswirkungen auf das Bild der westlichen Kultur im Rest der Welt

2004: Die Bilder von den Folterungen stellen nur die Spitze eines riesengroßen Eisbergs dar. Hintergründe zum Umfang und zur Systematik dahinter gibt es z.B. im Taguba-Bericht. Ein ehemaliger Offizier der britischen Armee-Spezialeinheit Special Boat Squadron (SBS) berichtet, "die von britischen und US-Soldaten angewandten Techniken entsprächen weitgehend einer Vorgehensweise, die bei der SBS und der Schwestereinheit SAS unter der Bezeichnung "R2I" (Resistance to Interrogation, Widerstand gegen Verhöre) gelehrt werde, sagte der anonyme Ex-Offizier der britischen Tageszeitung "The Guardian". Zu den Methoden gehörten auch Demütigungen und sexuelle Misshandlungen. Sie dienten dazu, bei den Gefangenen den "Schock der Festnahme" zu verlängern und dies für die folgenden Verhöre auszunutzen.

Wer sich fragt, wieso ganz "normale" Reservisten zu Folterungen fähig sind, der sollte sich mal das Stanford University Prison Experiment von 1971 anschauen (englisch). Eine sehr beeindruckende Dokumentation. Die Hälfte der studentischen Teilnehmer wurde zu Aufsehern, die anderen zu Gefangenen. Schon nach kurzer Zeit wirkte sich die Rolle auf das Verhalten und die Psyche aus. Das Experiment musste nach 1 Woche abgebrochen werden.

Oder hier der englische Artikel auch mit einer Referenz zum sog. "Milgram Experiment" (englisch), bei dem Studenten aufgefordert wurden, andere zu foltern und 65% dies auch bereitwillig taten.

Aktualisierung 2008: ein Interview und langer Artikel zum Thema Prison Experiment mit einer allgemeineren Referenz in Richtung, was solche Beobachtungen für die Einschätzung der menschlichen Natur bedeuten. Der damalige Initiator des Experiments, Philip Zimbardo, erklärt, dass fast alle Menschen zu etwas fähig sind. Er hat aus diesem Grund bei der Verteidigung eines Angeklagten in Abu Ghraib geholfen. Der obige Artikel verlinkt auch auf Filme aus dem Experiement, die heute auf YouTube stehen.

Eine Presseerklärung der Uni in Princeton (aus dem Jahre 2005) berichtet über eine aktuelle Studie zum Thema Folter durch jedermann, veröffentlicht in Science. "When discussing the Milgram experiment in classes, professor Susan Fiske said, students swear they would never behave the way the study subjects did. "But when they are put in similar experiments, they do," said Fiske."

Avatar:
eine künstliche Person oder ein grafischer Stellvertreter einer echten Person in der virtuellen Welt, beispielsweise in einem Computerspiel. Siehe auch Artificial Intelligence

Eine neue Studie (2006) stellt das Milgram Experiment mit Avataren nach. Die Teilnehmer am Experiment wussten, dass es nur am Computer simuliert würde. Trotzdem hat die Hälfte von denen, die den Avatar sehen konnten, erwogen das Experiment abzubrechen, in der anderen Hälfte, die nur über Text-Chat Kontakt hatte, jedoch niemand. In beiden Fällen haben die Teilnehmer mit erheblichem Stress auf diese Situation reagiert (Pulsrate und schweißige Hände).

 

Die Auswirkungen der Bilder von Abu Ghraib gehen jedoch weit darüber hinaus, dass jetzt öffentlich bekannt ist, dass die amerikanische Armee nicht anders ist als andere Armeen auch. Die Bedeutung liegt in den kulturellen Auswirkungen dieser speziellen Bilder von sexuellen Demütigungen.

Im Wiener Standard schrieb die Kommentatorin Isolde Charim

    "In den Bildern von Abu Ghraib werden die schrecklichsten Albträume des Orients wahr. Sie zeigen eine Fratze des Westens, wie sie kein Islamist erschreckender zeichnen könnte. Sie zeigen sexuelle Freiheit als gewalttätige Entartung in billigster Inszenierung (noch dazu unter Mitwirkung von Frauen). Sie enthüllen genau jene Kehrseite des liberalen Westens, die Al-Kaida als dessen eigentliches Gesicht immer schon beschworen hat."

    "Der "Westen" liefert nunmehr ein Bild von sich, das Islamisten bislang nur predigen konnten. Für die Wirksamkeit der Bilder ist es gleichgültig, ob es sich dabei um private Obsessionen handelt, die hier zügellos ausgelebt wurden, oder ob solche Perversionen als Foltertechniken eingesetzt wurden. Die schlimmsten Vorstellungen, die der Islam vom Westen hatte, erhielten hier ihre realen Bilder. Als solche sind sie wirksam - da mag Bush noch so sehr bekräftigen, dies sei nicht amerikanisch. Als solche könnten sie sich letztlich als kriegsentscheidend erweisen. "

Abgründe im Kulturverständnis zeigen sich auch in den Kommentaren des rechts-konservativen Radiosprechers Rush Limbaugh, der den Unterschied zwischen den Bildern und Auftritten von Madonna oder Britney Spears nicht sieht:

    LIMBAUGH: You know, if you look at -- if you, really, if you look at these pictures, I mean, I don't know if it's just me, but it looks just like anything you'd see Madonna, or Britney Spears do on stage.

    On his May 6 radio show, Rush Limbaugh continued to defend U.S. military personnel accused of abusing Iraqi prisoners, comparing the abuse photos to "good old American pornography":

    LIMBAUGH: The thing though that continually amazes -- here we have these pictures of homoeroticism that look like standard good old American pornography, the Britney Spears or Madonna concerts or whatever, and yet the Libs upset about the mistreatment of these prisoners thought nothing of sitting back while mass graves were being filled with three to 500,000 Iraqis during the Saddam Hussein regime.

Mein Punkt ist, dass diese Bilder noch lange nicht nur im arabischen Raum, sondern auch in Asien als Beweis dafür herhalten werden, dass die Ideen von Demokratie, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Selbstverwirklichung und Frauenrechten der falsche Weg sind. "Jetzt seht ihr, wohin die führen, die westlichen Werte".

 

 

 

Weiterführendes

Das alles wirft die Frage auf, ob dieses Debakel nicht evt. schon der erste Teil eines allmählichen Rückgangs der Vorherrschaft der USA ist. Mehr dazu findet sich unter Dominanz der Kulturen .......

Es gibt mittlerweile (Dez. 2008) solide Ansätze für die Frage "Warum gibt es eigentlich Kriege", die über die üblichen Erklärungsversuche hinaus gehen. Hier ein sehr interessanter, aber nur begrenzt optimistischer Aufsatz von H. Keith Henson Evolutionary Psychology, Memes and the Origin of War. Er erklärt, dass die Fähigkeit zur Kriegsführung älter als die Menschen sind und sich bei unseren Jäger und Sammlervorfahren evolutionär bewährt hat (wenn das Risiko besteht, dass ein Stamm verhungert, ist fast jede Lösung besser als Verhungern, auch ein Krieg gegen stärkere Nachbarn. Selbst wenn der Kriegszug verloren geht, so überleben doch die eigenen Gene, wenn die Sieger die Schwestern und Töchter rauben, wie es in der Geschichte, siehe Bibel, durchgehend üblich war).

In der heutigen Welt entsteht diese Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung wenn sich die ökonomischen Bedingungen verschlechtern, entweder durch Klimaveränderung, durch wirtschaftliche Entwicklungen oder durch Überbevölkerung. Kriege werden unwahrscheinlicher, wenn durch Aufwertung der Frauen in der Gesellschaft und Zugang zu Verhütungstechnologien die Bevölkerungszahlen sinken.

Das ist sehr verwandt mit einem anderen Erklärungsversuch über demografische Ursachen (wie in diesem Zeit Artikel recht überzeugend dargelegt werden Kriege vom Zaum gebrochen, wenn es ausreichend Söhne im wehrfähigen Alter gibt, speziell wenn viele von ihnen, wie jetzt in China wegen der geschlechtsselektiven Abtreibungen, kaum Chancen auf Ehefrauen haben werden).

Die englische Wikipedia geht sehr gut auf Theorien zur Erklärung von Kriegen ein.

Steven Pinker erklärt in einem Interview zu seinem neuen Buch an Hand von vielen Aspekten, warum er meint, dass heute weniger Gewalt herrscht als in früheren Zeiten: Hier eine Besprechung des Buchs Steven Pinker’s THE BETTER ANGELS OF OUR NATURE - Why Violence Has Declined mit mehr Links. Hier ein drastische Illustration (bei der die Opferzahlen auf die heutige Weltbevölkerung hochgerechnet werden): The 20 worst things people have done to each other, die den 2. Weltkrieg auf Platz 11 zeigt, Platz 1 ist Genghis Khan im 13. Jhdt, Platz 2 der Sklavenhandel im Mittleren Osten 700 bis 1900, 3. Platz die Xin Dynastie, etc. Der atlantische Sklavenhandel liegt nur auf Platz 9. Aus der Buchbesprechung und gute Zusammenfassung einige Zitate:

    "Some studies are based on skeletons found at archaeological sites; averaging their results suggests that 15 percent of prehistoric humans met a violent death at the hands of another person. Research into contemporary or recent hunter-gatherer societies yields a remarkably similarly average, while another cluster of studies of pre-state societies that include some horticulture has an even higher rate of violent death. In contrast, among state societies, the most violent appears to have been Aztec Mexico, in which 5 percent of people were killed by others. In Europe, even during the bloodiest periods — the 17th century and the first half of the 20th —­ deaths in war were around 3 percent. . . . It’s not only deaths in war, but murder, too, that is declining over the long term. Even those tribal peoples extolled by anthropologists as especially “gentle,” like the Semai of Malaysia, the Kung of the Kalahari and the Central Arctic Inuit, turn out to have murder rates that are, relative to population, comparable to those of Detroit. In Europe, your chance of being murdered is now less than one-tenth, and in some countries only one-fiftieth, of what it would have been if you had lived 500 years ago.

    "

 


Philipp Schaumann, http://philipps-welt.info/

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